Das Wetterhäuschen
Wie schnell wir vergessen – vor gar nicht allzulanger Zeit haben wir alle noch kein Internet benutzt. Jetzt können wir globale Wettervorhersagen auf Knopfdruck abrufen. Das Internet ermöglicht uns das Wetter zu bestimmen ohne aus dem Fenster zu schauen.
Die Wetterstation aus dem Jahr 1898 war zu ihrer Zeit Hi-Tech und half den Kurgästen ihre Aktivitäten zu planen und die entsprechende Kleidung auszuwählen. Dieses Stück deutscher Ingenieurkunst war teuer und von Hand in hoher Präzision gebaut. Es wurde von dem Ehrenbürger Carl Thiesen gestiftet und im Jahr 1977 umfangreich renoviert. Die Wetterstation stand innerhalb von Ziergärten, durch die der Fluss Knodenbach lief. Bis in die späten 1950er Jahre floss das Wasser noch oberirdisch – bis zu viele Badegäste in den Bach gefallen waren.
Die Wetterstation…
… steht auf einem historischen Platz an der Kreuzung von Kirchenring und Hofer Straße. Früher hieß der Platz Geißmarkt, da sich hier einstmals ein Ziegenmarkt befand.
Die Hofer Strasse mag klein aussehen, aber als Bundesstraße (B2) hat sie eine besondere strategische Bedeutung für die Grenzregion zwischen Ost und West – ganz ähnlich der „via imperii“ in früheren Zeiten (siehe QR 25). Während Kriegszeiten wurde die Strasse von Armeen sowie von Flüchtlingen benutzt.
Jeder, der in Berneck ankam, musste sich im Rathaus registrieren lassen. Deshalb wurde das Gebäude des Gasthofs Goldener Hirsch in der Zeit von 1918 und 1975 als Rathaus genutzt.
Margarete Herrmannsdörfer erzählt der QR-Tour über ihre Erfahrungen der Kriegszeit als kleines Mädchen.
Das Gasthaus Friedrich bewirtete Gäste aus der ganzen Region, die in die Stadt kamen, da hier Bezirksgericht, Bezirkskrankenhaus und andere regionale Einrichtungen waren – die Renovierungen und Erweiterungen des Gasthofs Friedrich spiegeln die Veränderungen der Stadt.
„Flüchtigen Installationen“
2012 wählte der britische Künstler Ivan Smith das Wetterhäuschen als Ort für eine seiner „flüchtigen Installationen“.
Das Team von KüKo und Kreativhouse wollte mit Bürgern und Besuchern der Stadt Bad Berneck ins Gespräch über Themen wie Stadtentwicklung und Stadterneuerung kommen, und gab so dem Künstler aus England den Auftrag mit einem Medium seiner Wahl fünf Plätze in Bad Berneck vorübergehend zu markieren.
Absicht war, Kunst auf die Straße zu bringen und sich dort mit Menschen über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Bad Berneck auszutauschen.
Ein Anwohner sagte: „Schön, dass die Wetterstation ausgewählt wurde, sie findet sonst als Sehenswürdigkeit viel zuwenig Beachtung!“
Ivan Smith wählte Spanngurte als Material – es dauerte jeweils mehrere Stunden die Objekte (mit großer Spannung) zu umwickeln. Kurze Zeit nach Fertigstellung nahm er sie dann wieder ab. Ohne bleibende Spuren zu hinterlassen wurden neue Erinnerungen an fast vergessene Orte geschaffen.
Fotografie: Leo Johannes Cepera
‚Flüchtige Installation’
von Ivan Smith, dem ersten „International Artist in Residence in Bad Berneck“ eingeladen von Kreativhouse und Küko (siehe QR 14).
Film von Sabine Gollner
1977 Reparatur
Fotografien dokumentieren die Reparaturen und die Wiederinstandsetzung der Wetterstation, 1977
Frau Herrmannsdörfer erzählt zwei Geschichten aus Kriegszeiten, als sie noch ein kleines Mädchen war:
Ich war ein junges Mädchen in den letzten Kriegsjahren. Mein Elternhaus befand sich gegenüber vom Rathaus (das heute der Goldene Hirsch ist), da sahen wir immer wie Flüchtlinge oder Soldaten eintrafen, weil sich jeder beim Rathaus registrieren lassen musste. Damals war auch noch der Flusslauf offen bis zum Marktplatz, heute läuft er unterirdisch.
Russische Soldaten
Wir hatten damals ja kein Fernsehen, nicht einmal Spielzeuge, also schaute ich immer aus dem Fenster, neugierig auf die Menschen und die Welt da draussen.
Eines Tages sah ich eine Gruppe von russischen Soldaten auf dem Platz – sie sahen alle halb verhungert aus, das Elend war auf allen Seiten gross. Dann bemerkte ich, dass einer von ihnen eine kunstvoll bemalte Spielzeug-Wassermühle auspackte – sofort wusste ich, dass ich diese haben wollte!
Ich stieg auf den Ofen und holte 6 Brötchen herunter, steckte sie mir in die Hosen, so dass sich die Brötchen unten im Bündchen sammelten. Dann rannte ich hinunter und fragte die Russen gestikulierend, ob sie Hunger hätten. Natürlich waren sie das – ich deutete dann auf die Wassermühle und zeigte ihnen die Brötchen. Sie liessen sich gleich auf den Handel ein. Meine Großmutter hatte mich vom Fenster aus beobachtet, war wütend, als ich nach Hause kam und nahm mir das von Mustern über und über bedeckte Spielzeug sofort ab. „Da holst Du Dir die Krätze – ich wasch es ab!“ und sie überbrühte die Mühle mit kochendem Wasser. Ich war entsetzt – all die kostbare Farbe verschwand und die Schönheit war dahin!
Aber ich hab sie trotzdem behalten und immer versucht die Muster mit Bleistift nachzumalen.
Flüchtlingselend
Das Flüchtlingselend war schrecklich, Bad Berneck war eine der Stationen durch die Flüchtlinge von Osten her auf ihren langen Wanderschaften Halt machten. Sie waren unterernährt, hatten Freunde, Familie und ihr Hab und Gut verloren – die Gesichter der Menschen waren gezeichnet von Trauer, Verlust und Hunger.
Tief im Winter, bei schlimmsten Temperaturen und tiefem Schnee, kamen immer wieder Kleingruppen von etwa 10 – 20 Flüchtingen an. Sie meldeten sich im damaligen Rathaus, sie schliefen bei minus 25 Grad in ihren Wägen, mit Kindern.
Einmal klopfte es mitten in der Nacht und eine junge Mutter stand da und bat darum im Warmen ihr 4-Monate altes Baby zu stillen.
Meine Eltern boten ihr das Sofa an, gaben ihr eine Mahlzeit und liessen sie schlafen, bis sie weiterziehen musste.
Einige der Flüchtlinge blieben auch einige Monate oder länger, so zum Beispiel Ulrike Meinhof (1), Sie besuchte mit mir nach Kriegsende die Schule, damals gab es nur eine Klasse, in der mehrere Altersgruppen gemeinsam unterrichtet wurden.
Ich hatte später noch viel Kontakt mit ihr und ihrer Familie, sie besuchten Berneck noch ab und an, wohnten im Sanatorium Die Quelle, in der ich 25 Jahre lang arbeitete.
Aber ich weiss noch, wie elendig es den Flüchtlingen damals ging – die Armut war gross.
Margarete Herrmannsdörfer, 2013
(1) Ulrike Meinhof ging später als links-radikale Terroristin in die deutsche Geschichte ein. Als 10 jähriges Mädchen, 1945, erlebte Ulrike Meinhof den Einmarsch der Amerikaner in Jena und das Ende des 2. Weltkriegs. Nach der Flucht aus Ostpreussen blieb sie mit ihrer Mutter für ein Jahr in Berneck.